Mittwoch, 1. April 2015

10.20 Uhr / Schneeschauer, 2.1° C
Der Youtube-Clip des Tages:
Dani Ziegler mit Ich freu mich scho uf dä Härbscht





Literatur


Wald
von Doris Knecht





Früher wohnte Marian in Wien und trug gerne Alma Boots von Acne zu Jeans von Seven for all Mankind. Früher standen in ihrer Küche weiße Eames-Chairs und ein Edelstahl-Entsafter für "Green Juices". Früher benutzte sie eine 300-Euro-Anti-Falten-Creme, dazu spezielle Cremes für die Lider, für den Hals, für das Dekolleté. Früher hatte sie eine Putzfrau und einen Gärtner für ihre Dachterrasse, einen Osteopathen, einen Yogalehrer, einen Shiatsu-Masseur, eine Kosmetikerin. Früher hatte sie Facebook-Freunde, die als Architekten oder Hochschuldozenten oder Journalisten arbeiteten.

Heute hat Marian keinen Computer mehr, nicht einmal mehr eine E-Mail-Adresse. Heute haust sie in einem Kuhdorf irgendwo in den Voralpen: in einer Bruchbude, die sie von einer Großtante geerbt hat. Heute klaut sie Maiskolben auf den Feldern des Dorfes und Hühner in den Nachbarsgärten. Heute angelt und wildert sie, sammelt Bärlauch und Pilze, kocht Marmelade ein. Kurz: Heute scheint Marian das Leben zu leben, nach dem sich manch gebildeter Gutverdiener in deutschen und österreichischen Metropolen sehnt. Ein einfaches Leben.

Doch so romantisch, wie sich das zunächst anhören mag, ist es nicht. Denn Marian, die Protagonistin in Doris Knechts neuem Roman "Wald", spielt nicht nur mit dem Gedanken, aus ihrem Luxusleben auszusteigen, sie steigt wirklich aus. Nicht nur punktuell, etwa für einen Urlaub, sondern komplett. Nicht aus Überzeugung, etwa aus ökologischen Motiven, sondern aus Not. Es bleibt ihr nichts anderes übrig.
Jahrelang war Marian eine angesagte Modedesignerin, die Schauspielerinnen im Jil-Sander-Style ausstattete: hochwertig und elegant, puristisch und klar, bloß kein Bling-Bling. Sie mietete einen Laden in bester Wiener Lage, weil sie unerschütterlich an das eigene Berufsglück glaubte: Sie war begabt, gut ausgebildet, fleißig - was sollte ihr schon in die Quere kommen?

Sozialwohnung statt Altbau mit Dachterrasse

Es kam: die Wirtschaftskrise. Und mit der Wirtschaftskrise kamen Absatzprobleme. Sie musste ihren Laden aufgeben, musste stattdessen einen Job in der Möbelbezugschneiderei eines Einrichtungshauses annehmen. Sie musste ihre Altbauwohnung mit Dachterrasse aufgeben, musste eine Sozialwohnung im 20. Wiener Bezirk beziehen. Sie musste auf Trüffelsalami und x-fach gefilterten Wodka verzichten, musste bei Hofer einkaufen. Und als selbst das irgendwann nicht mehr reichte, als die Schulden zu sehr drückten, musste sie die Stadt verlassen.

Die Journalistin und Schriftstellerin Knecht ist österreichischen Lesern schon lange als Kolumnistin bekannt, aus "Falter" und "Kurier", deutsche Leser kennen sie seit ihrem Debütroman "Gruber geht", mit dem sie 2011 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand. Schon damals ging es einem Karrieristen an den Kragen. In "Wald", ihrem dritten Roman, greift Knecht nun die Selbstversorger-Sehnsucht gebildeter Gutverdiener auf: Ein Trend, der in Feuilletons gerne mal als Krisensymptom gelesen wird, auch wenn die wenigsten Anhänger des Trends selbst in einer ernsthaften finanziellen Krise stecken dürften. Denn dafür ist das sogenannte einfache Leben viel zu aufwendig.

Früher zelebrierte Marian das einfache Leben so, wie es viele gebildete Gutverdiener zelebrieren: Sie ging gerne in kleinen Trattorien essen, kaufte gerne auf dem Bauernmarkt ein, ließ sich eine Gemüsekiste nach Hause liefern. Heute kann sie sich ein solches einfaches Leben nicht mehr leisten. Heute muss sie einfach leben, so einfach, dass sie im Winter schon mal friert, weil nicht genug Brennholz da ist.

Knecht porträtiert eine Frau, die die guten Jahre und viele schlechte Männer hinter sich hat, eine emanzipierte Frau, die einst Mode für andere emanzipierte Frauen entwarf - und die es nun, mit Mitte 40, dem Dorf-Patriarchen Franz besorgt, damit dieser sie mit Lebensmitteln versorgt. Es ist eine pragmatische Entscheidung, getroffen aus der Not heraus, aber es ist eine bewusste Entscheidung.

Denn Marian tut nichts, ohne darüber nachzudenken, sowohl vorher als auch nachher, wieder und wieder. Sie schaut immerzu auf sich selbst: Eine Reflexionsmaschine, die ihr Gehirn nicht ausknipsen kann, nicht einmal in der Abgeschiedenheit des Waldes.
Knecht wiederholt Namen und Schlüsselworte, bis zu zwölf Mal auf einer Seite, so dass ein beschwörender Ton entsteht, ein unheimlicher Sound, der noch verstärkt wird durch die Verwendung herber Austriazismen. "Wald" liest sich wie eine 270 Seiten lange Gedankenschleife, ganz eigen, ganz eindringlich.

                                                                                      Tobias Becker im Spiegel
Trüffelsalami ade...



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen