Freitag, 7. Januar 2011

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Lizz Wright mit ihrem fantastischen Old man
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Fussball


FC St. Pauli

Kleiner Tod am Millerntor

Artikel von Dario Venutti im Zürcher TagesAnzeiger vom 7. Januar 2011.

Stammte die Idee von Silvio Berlusconi, schreibt der Blogger von knappdaneben.net, würde die Sache ein müdes Lächeln entlocken. Strip-Tänzerinnen bei Heimspielen der AC Milan, dem Club des italienischen Premiers, das wäre lediglich eine weitere Episode im quälenden Niedergang des Cavaliere.

Doch der Service wird seit dieser Saison beim FC St. Pauli angeboten. Und deshalb riecht es dort nach Rebellion.

3000 Fans haben über die Festtage eine Petition unterschrieben, in der sie die Schliessung von Susi's Showbar fordern. Die Strip-Tänzerinnen, die sich während der Spiele in der VIP-Loge an einer Stange rekeln, sind dabei bloss der fleischgewordene Ausdruck dessen, was die Fans generell als Gefahr sehen: Den Verkauf der eigenen Identität! So sind am Millerntor, dem Stadion des FC St. Pauli, Bänder mit LED-Laufschrift montiert, auf denen Zuschauer ihre sms einblenden lassen können. Das bringt Geld, lenkt aber vom Spiel ab. Ein kleiner Tod für die Fankultur.

Auch andernorts in Europa spielt sich ein Kulturkampf ab zwischen Fussballkommerz und Fankultur, der oft vorschnell als Hooliganismus abgetan wird. Doch bei St. Pauli gehört die Abweichung vom Mainstream zum Selbstverständnis des Clubs.

Das Geld werde nicht bedingungslos eingenommen, weshalb man keine Verträge mit Sponsoren eingehe, die ihren Mitarbeitern nicht Mindestlöhne zahlen, sagte Geschäftsführer Michael Meeske kürzlich. "Wir sind der etwas andere Verein. Wir verkörpern eine gewisse Nicht-Etabliertheit". Der Club unterhält eine Kinderkrippe, in der Eltern ihre Kinder während der Spiele abgeben können. In den Vereinsstatuten steht überdies, auf sexistische und rassistische Werbung sei zu verzichten. Das macht St. Pauli einzigartig in der Fussballandschaft, die von Homophobie und und Sexismus geprägt ist.
Der Hamburger Quartierverein hat es mit seinem Gegen-Marketing geschafft, sich zum europaweitem Kultobjekt aufzubauen. Leute selbst in Zagreb, Wien und Zürich laufen mit St.-Pauli-Trikots und Handtasche herum.

Das jetzt die eigenen Fans gegen die Clubführung rebellieren, hat auf St. Pauli eine eigene Logik. Bis in die 80er-Jahre war der 1910 gegründete Club ein beschaulicher Hamburger Quartierverein. Dann belebte ihn ein Gemisch aus autonomer Szene, Studenten und Kulturschaffenden neu. St. Pauli war die Antwort auf den Rechtsextremismus in den Fankurven zahlreicher deutscher Stadien. Und das Millerntor trug wesentlich dazu bei, dass sich Linke für den Fussball öffneten, die bis dahin in dem Spiel eine unnötige Ablenkung von den "wahren Gesellschaftsproblemen" sahen.

Der gegenwärtige Protest wird von den Sozialromantikern organisiert, einer anonymen Gruppe von Fussballfans, die sich bereits vor drei Jahren formierte im erfolgreichen Widerstand gegen den "Millerntaler". Der damalige Präsident wollte ein bargeldloses Zahlungssystem im Stadion einführen.

Nebst der Schliessung der Stripperinnen-Lounge und der Einstellung der Text-Laufbänder fordern die Sozialromantiker, einen Teil der teuren Business-Seats auf der Haupttribüne in bezahlbare Sitzplätze umzuwandeln. Und die Kinder in der Stadionkrippe sollen die grauen Wände selber bemalen dürfen.

Die Clubleitung hat die Petition "zur Kenntnis genommen" und will mit den Sozialromantikern "bald" Gespräche führen. Doch diese wollen nicht länger warten. "Wir werden Aktionen anzetteln, die euch nicht einmal im Traum einfallen" schreiben sie in der Petition, an das Vereinspräsidium gerichtet. Das Heimspiel gegen den SC Freiburg am 15. Januar zum Rückrundenstart der Bundesliga könnte ungemütlich werden.

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