Freitag, 19. September 2014

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TV / Highlights


P'tit Quinquin
4teilige Serie von Bruno Dumont

Folge 1 und 2 am 18. September auf Arte
Folge 3 und 4 am 25. September auf Arte



Zerhackte Körper, menschenfressende Kühe und mittendrin eine Bande um einen kleinen Jungen: In der für Arte produzierten Miniserie "Kindkind" des Regisseurs Bruno Dumont muss ein dysfunktionales Ermittlerduo einen bizarren Fall lösen.
Ein Küstendörfchen in der Nähe von Calais – in jenem Teil Flanderns, der nicht zu Belgien gehört: also da, wo die Sch'tis wohnen, deren verschrobene Liebenswürdigkeit uns vor ein paar Jahren "Willkommen bei den Sch'tis" so ans Herz gelegt hat. In diesem Vierteiler auf Arte allerdings sind die Leute weniger liebenswürdig als – dysfunktional: Getrieben. Verlogen. Egoistisch.
In dieser Abgeschiedenheit von der Welt, wie wir sie kennen, vertreiben sich Kindkind und seine Kinderbande die Zeit: trollen durch die Felder, unternehmen seltsame Badeausflüge zur kargen Küste, schmeißen Knallfrösche in Vorgärten oder auf Touristen und stromern durch die Nazibunker, die überall die Dünen durchziehen.
Aus einem dieser Bunker wird eines Tages – von einem Hubschrauber – eine Kuh gezogen. Die beiden Dorfpolizisten ordnen die Obduktion der Kuh an: Im Bauch der Kuh werden der Zeigefinger, Daumen und Fuß einer 45-jährigen Frau entdeckt. Doch wo ist der Kopf?

Noch seltsamer als die Bluttaten sind die Menschen.

Und immer mehr haarsträubende Morde passieren, doch noch seltsamer als die Bluttaten sind die Menschen, die diese Serie bevölkern: "normal" ist hier anscheinend niemand. Und zur Komödie gerinnen die schrecklichen Ereignisse, wenn sie durch naive, lieb-grausame Kinderaugen betrachtet werden – allen voran denen von Kindkind.
Der Name ist eine etwas verbogene Übersetzung des Sch'ti-Wortes "P'tit Quinquin" für kleines Kind. Dabei ist Kindkind aber gar nicht mehr so klein – um die zwölf – seine Nase ist schief, sein Gesicht platt, mit kleiner Hasenschartennarbe und Hörgerät hinterm Ohr.
Seine erstaunlich charismatische, launische Präsenz trägt die halbe Serie – die andere Hälfte treibt das völlig gestörte Ermittlerduo an: Der Chefpolizist zum Beispiel, er scheint am Tourettesyndrom zu leiden mit seinen Schreiausbrüchen, und er zuckt und schielt vor lauter Tics – was ganz besonders quälend wird, wenn er den geistig behinderten Onkel von Kindkind befragt. Andererseits zitiert er dann auch gerne mal die Klassiker.
Die Befragungen von Zeugen enthüllen jedenfalls Familiengeheimnisse, Feindschaften und Ehebruch wie in jedem glatt durchproduzierten Fernsehkrimi von der Stange: Aber allein die Laiendarsteller erfinden bereits die Wucht des Grausamen neu. Nicht fein und raffiniert wird das gezeigt, aber auch das Komische kann tief schürfen...

Extrem langsam erzählt.

Die groteske Seite des ganz normalen Lebens auf dem Lande hat Regisseur Bruno Dumont zu einer irren Tragikomödie verdichtet – in genau der Gegend, aus der er selbst stammt, und deren Leute er liebt, wie er sagt: Jungs, die sich gegenseitig Granaten klauen, die Majoretten-Truppe am Nationalfeiertag, ein verschwundener Bauarbeiter, ein totes Liebespaar, psychisch Gestörte und Geisteskranke, ein Amok laufendes Opfer von Rassismus und ein schwarz behelmter Motorradfahrer, der Teufel selbst, so scheint es.
Erzählt wird in dem Tempo, in dem das Leben in diesem wunderschön gefilmten Landstrich vergeht: also extrem langsam. Was passiert, ist weniger wichtig als wie es passiert. Gestik und Mimik bedeutsamer als das, was gesagt wird: wie bei Tati oder den Marx Brothers: burlesk in aller Grausamkeit.
Auf der anderen Seite besänftigt – ein wenig – die zärtliche Romanze zwischen dem asozialen Kindkind und seiner Freundin Eve, die hübsch ist und Trompete spielt. Sie wärmen auch über die Angst hinweg, dass am Ende nicht herauskommt, wer die Morde nun begangen hat:
Anstelle einer logischen Auflösung der Morde tauchen immer schneller, immer mehr Leichen auf. Die bizarre Bösartigkeit dabei erinnert eigentlich an "Tom & Jerry" – aber die Scheußlichkeit ist so groß, dass sie übernatürlich wirkt: "Twin Peaks" trifft die "Kinder von Bullerbü", so in etwa. Arthaus-TV.

Laf Ueberland




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