Montag, 22. Januar 2018

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Film / Tribute to Harry Dean Stanton


Lucky
Tragikkomödie

von John Carroll Lynch (nicht verwandt mit David Lynch), USA 2017



Ein Reptil sagt tschüss...

Zu Beginn des Films kraucht eine alte Schildkröte durch die Wüste. An die Kröte erinnert auch der Hauptdarsteller: Harry Dean Stanton, beim Dreh 90 Jahre alt, hat denselben dünnen Hals, dieselbe ledrige Haut. Und wenn er spricht, klingt er so rau, wie auch das Reptil klingen würde, wenn es denn sprechen könnte.

Stanton spielt Lucky. Der Alte wohnt in einem abgeschiedenen Wüstenkaff, seine Tage verlaufen alle nach demselben Muster. Sofort nach dem Aufstehen zündet er sich eine Zigarette an und macht fünf Yoga-Übungen, während mexikanische Musik aus dem Radio plärrt. 

Rührend ist dieser runzelige Körper, Lucky wirkt sehr verletzlich in Unterhemd und Unterhose. Wenn er in Jeans und Lederjacke schlüpft, ist es ein bisschen so, als würde er sich einen Panzer überziehen. Er holt Zigaretten im Dorfladen. Wieder zu Hause, schaut er Gameshows. Mitunter greift er zum Telefon – mit wem er da spricht, erfahren wir nie. Der Film nimmt sich die Freiheit heraus, solche kleinen Geheimnisse für sich zu behalten.

Ein Film aus Lebensweisheiten und Erzählungen

Abends trinkt Lucky in seiner Stammbar eine Bloody Mary und führt mehr oder weniger tiefsinnige Gespräche. Mit Howard zum Beispiel, gespielt von «Twin Peaks»-Regisseur David Lynch. Dieser ist völlig verzweifelt: «Präsident Roosevelt ist abgehauen!» Er meint sein Haustier, die Schildkröte vom Anfang. Luckys Routine gerät erst ins Stocken, als er eines Morgens aus dem Nichts heraus in Ohnmacht fällt. Bleibende Schäden trägt er zwar nicht davon, aber es drängen sich ihm nun doch Gedanken an den nahenden Tod auf.
«Lucky» hat sich als grosse Abschieds­vorstellung von Harry Dean Stanton erwiesen, ist der Schauspieler doch letzten September verstorben. Wenige Wochen zuvor lief der Film in Locarno. Stanton selbst reiste zwar nicht an, unter anderen aber die Drehbuchautoren Logan Sparks und Drago Sumonja. Wie sie erzählten, schrieben sie das Skript Stanton, mit dem sie gut befreundet waren, auf den Leib. Und angeblich haben sie nicht mehr gemacht, als Stantons Lebensweisheiten und Erzählungen aufzuschreiben und daraus eine sachte autobiografische Geschichte zu stricken. So war Stanton wie Lucky im Zweiten Weltkrieg in der Navy, diente auf einem Kriegsschiff als Koch. Der einfachste Job im Militär, daher der Spitzname Lucky. 

Regisseur John Carroll Lynch (nicht verwandt mit David Lynch) kam später hinzu. Der Schauspieler («Fargo») hatte nie zuvor Regie geführt, aber seine zurückhaltende, lakonische Inszenierung passt wunderbar zum ebenso spartanischen Spiel von Stanton. So ist das eine wundervolle Hommage an den vielbeschäftigten Nebendarsteller, der nur selten Hauptrollen übernahm – wie die des Aussteigers Travis in Wim Wenders’ «Paris, Texas» (1984). Ganz wie Lucky kam damals auch dieser Travis aus der Wüste.

Neben solchen Anspielungen sind in «Lucky» diverse alte Bekannte zu finden. Eben David Lynch, für den Stanton schon oft vor die Kamera getreten ist. Oder da ist Tom Skerritt, der zuletzt vor fast vierzig Jahren zusammen mit Stanton in einem Film zu sehen war, 1979 in «Alien». In «Lucky» ist Skerritt ein ehemaliger Marine. Er und Lucky tauschen Geschichten aus dem Weltkrieg aus, und der Ex-Marine erzählt eine herzzerreissende Geschichte über ein kleines Mädchen, das ihm im Einsatz begegnete. Es ist in diesem Film nicht der einzige Moment, der einen zu Tränen rührt. 

Gregor Schenker, im Züritipp von heute


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